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A100 Berlin: 5 Angeklagte – 2,5 Jahre Verfahrensdauer – 0 Verurteilungen

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Warum wir uns gegen Strafverfahren wehren – und sich das richtig lohnen kann

Anfang Februar 2014: Der Berliner Senat schickt mehrere Polizeihundertschaften, kletternde und technische Spezialeinheiten, die Hundestaffel und Holzfäller, um unsere Baumbesetzung gegen den A100-Ausbau zu beenden. Am Abend schlägt nach über einem Jahr Besetzung die Protestpappel samt Baumhaus krachend auf dem Boden auf. Vorher wurden 5 Menschen abgeführt. Ihnen wirft die Polizei Hausfriedensbruch vor.
Clip: Rolf

Hausfriedensbruch ist ein sogenanntes reines Antragsdelikt. Das heißt: Eine strafrechtliche Verfolgung ist nur möglich, solange die Besitzerin des Grundstücks (die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung) das ausdrücklich verlangt. Das nennt sich Strafantrag. Den hat die Senatsverwaltung der Polizeiführung schon vorher übergeben. Es ist ein Blankoscheck zur Verfolgung von Allen auf dem fraglichen Grundstück. In vertrauensvollen mündlichen Absprachen entscheiden Verwaltung und Polizei dann gemeinsam, wer vor ein Gericht gehört. Es trifft uns 5, die die Polizei an diesem Tag abgeführt hat.

Wir finden es ein Unding, dass die ohnehin falsche Betonpolitik für die Bau- und Autoindustrie jetzt auch noch strafrechtlich durchgesetzt werden soll. A100-Gegner*innen statten der Senatsverwaltung einen Überraschungsbesuch ab und stellen die Verantwortlichen zur Rede. Auf unsere Anregung hin schreiben zwei Abgeordnete der Grünen dem damaligen Stadtentwicklungssenator (und heutigen regierenden Bürgermeister) Michael Müller einen offenen Brief und fordern die Rücknahme des Strafantrags. Der bekennt sich daraufhin zur Strafverfolgung von A100-Gegner*innen. Außerdem würde sich der Strafantrag ja eh nur gegen Menschen richten, die mit einer ganzen Reihe konkreter Handlungen der Polizei das Leben schwer machten. Wir wundern uns. Denn inzwischen kennen wir unsere Gerichtsakten. Und was uns da vorgeworfen wird, hat mit den Behauptungen Müllers nicht viel zu tun.

Im Sommer 2015 beginnt der Prozess gegen uns am Amtsgericht Tiergarten. An 4 oft langen Verhandlungstagen werden Fotos und Videos gesichtet, viele Polizeizeugen mit meist nur vagen Erinnerungen und der Baustellenleiter der A100 vernommen. Der windet sich angesichts der widersprüchlichen Aussagen zum Strafbefehl, kann sich aber auf Schützenhilfe durch die Richterin verlassen. Mehrere Zeitungen berichten zu dem Prozess. Und noch vor dem Urteil wird das Verfahren gegen zwei Angeklagte eingestellt. Sie sind in parallelen Verfahren wegen anderen Protestaktionen zu Geldstrafen verurteilt worden. Das Gericht hält das für ausreichend und ist wohl auch froh, sich Arbeit zu sparen. Eine noch größere Überraschung ist dann das Urteil selbst: Einer der 3 verbleibenden Angeklagten wird freigesprochen. Er wurde zwar von einem Baum geräumt, befand sich dabei aber gar nicht auf dem Grundstück. Was damals ziemlich offensichtlich war, hat die Polizei nach Kräften vertuscht. Zum Glück konnten wir es mit eigenen Fotos und Videos beweisen. Die beiden anderen Angeklagten werden zu relativ hohen Geldstrafen verurteilt, legen aber Berufung ein.

Deshalb kommt es im September 2016 zur Berufungsverhandlung am Landgericht. Wieder muss der Baustellenleiter antanzen, aber diesmal fragt die Richterin nach, wie der Strafantrag und die Behauptungen unseres Bürgermeisters zusammenpassen sollen. Als Ergebnis wird der Strafantrag gegen einen Angeklagten zurückgezogen, was die sofortige Einstellung seines Verfahrens zur Folge hat. Die Erinnerungen der Polizeizeugen an die letzte verbleibende Angeklagte sind vage, widersprüchlich und wenig überzeugend. Das findet dieses mal sogar die Richterin und spricht sie schließlich frei.

Die vom Berliner Senat in Gang gesetzte Justizmaschinerie hat sich lange und mit großem Aufwand  mit unserem politischen Handeln befasst, ohne das es zu den gewünschten Verurteilungen kam. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Es hat viel mit der politischen Unterstützung des Protests gegen die A100 und der wirksamen Verteidigung durch Angeklagte und Anwältinnen zu tun. Und auch mit etwas Glück, was die zuständige Richterin in der Berufungsinstanz angeht – das bei Polizisten und Senatsvertretern kritisch nachgehakt wird, ist eher die Ausnahme als die Regel. Oft genug erleben wir, dass die Gesetze auf der Seite derer sind, die unsere Lebensgrundlagen vernichten. Trotzdem zeigen unsere Prozesse, dass es sich lohnt, sich mit langen Atem zu wehren. Das nehmen wir als Ermutigung für zukünftige Proteste mit.

Beitrag i.A. 5 nicht mehr Angeklagter eingestellt von


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